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Digitalisierung und Strategieoptimierung Winterdienst (DE)

Wien, im Januar 2024:



Anforderungen Winterdienst ASFINAG:

„Ein effizienter Winterdienst erfordert die Optimierung der Streustrategien für alle Wetterereignisse mit den tatsächlichen Wirkungen, aktuellen Kostengrundlagen unter Berücksichtigung der technischen und rechtlichen Randbedingungen“


Wissenschaftliche Grundlagen Winterdienst:

Der Winterdienst sichert die Erreichbarkeit und Verkehrssicherheit bei winterlichen Wetterereignissen. Die Griffigkeit der Fahrbahn und damit die Verkehrssicherheit ändern sich je nach (Trocken, Nass, Reif, Schnee, Eis), dem Winterdienst und den sich daraus ergebenden Fahrbahnzuständen. Der Schlüssel zu einem effizienten Winterdienst ist es daher, rechtzeitig alles vorzubereiten, um zum richtigen Zeitpunkt effizient zu Räumen und das geeignete Streumittel in der Streuung optimal zu dosieren. Zur Untersuchung der Zusammenhänge wurde die Winterdienstforschung in Österreich im Jahr 2009 auf neue Beine gestellt. Wesentlicher Baustein dazu war der Winterdienstausschuss der RVS als Plattform bestehend aus Vertretern der ASFINAG, der Länder, der TU Wien, Hoffmann Consult sowie der Industrie. Wichtige Forschungsprojekte waren die Optimierung der Feuchtsalzstreuung (2011), Eignungskriterien für auftauende Streumittel (2015) und das Wirkmodell Streuung, Räumung und Restsalz (2019). Im Rahmen des FFG-Projektes WINTERLIFE (2021) im Auftrag der ÖBB-INFRA wurden zudem alle bekannten Streumittel und Zusätze umfassend physikalisch und chemisch untersucht. Die Entwicklung und Formalisierung eines Streumodells mit diesen Grundlagen erfolgte dagegen in den F&E Projekten WinterFIT I-IV (2009 - 2023) für die ASFINAG.


Simulation, Validierung und Optimierung im Streumodell Winterdienst der ASFINAG:

Mit der Entwicklung des Streumodells Winterdienst in den F&E Projekten WinterFIT I-IV wurden in den letzten 10-15 Jahren die formalisierten Modelle für präzise Straßenzustandsprognosen und eine ganzheitliche Optimierung des Straßenwinterdienstes in der ASFINAG geschaffen. Das Streumodell kombiniert Straßenzustands- und Verkehrsdaten, Sensordaten und Wetterprognosen und errechnet daraus stündliche Prognosen für 248 Wetterabschnitte und 136 Streurouten in Echtzeit. Zusammen mit den Einsatzdaten der Streufahrzeuge wird zudem die Änderung der Griffigkeit ohne und mit Streueinsätzen berechnet. Im letzten Jahr haben wir intensiv an der Validierung der Prognosen zur Fahrbahngriffigkeit und dem Benchmarking, dem Parametertuning sowie der Optimierung der Einsatzstrategien gearbeitet. Gemeinsam mit der ASFINAG arbeiten wir derzeit an der Ausrollung der Straßenzustandsprognosen und Streuempfehlungen am gesamten Netz der ASFINAG in 44 Autobahnmeistereien auf 2.250 km Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich samt Ergebnisevaluierung (Abbildung 1).


Abbildung 1: Wetterabschnitte und Meistereien auf Autobahnen/Schnellstraßen in Österreich (2023)

Softwaretool Streumodell Winterdienst:

„Das Softwaretool Streumodell Winterdienst wurde in Forschungsprojekten mit ASFINAG, Ländern, BMK, TU Wien und Hoffmann Consult unter Leitung von Doz. DI. Dr. Markus Hoffmann entwickelt und umfasst alle relevanten Aspekte von der Prognose bis zur Einsatzanalyse“


Überblick Funktionen Softwaretool:

Das Softwaretool zum Streumodell Winterdienst der ASFINAG baut auf einem strukturierten Karteninterface und Netzgraphen mit zugeordneten Sensoren, Straßenwetterabschnitten und Streurouten auf. Unter dem Reiter Karten können die Bestandsdaten (Netz, Sensoren, SWA etc.) und dynamische Daten (Einsatzfahrten, Fahrbahntemperatur, Ereignisse, Streckenzustand) dargestellt werden. Der Reiter Sensordaten zeigt alle Sensoren und ihren Status, ermöglicht die Bearbeitung des Sensornetzwerkes sowie die Visualisierung der Messdaten (Funktion/ Fehleranalyse). Unter dem Reiter Prognosemodelle können die Modelle für Lufttemperatur (LT), relative Luftfeuchtigkeit (RLF), und Fahrbahntemperatur (FBT) mittels Clusteranalyse + Neuronale Netze + Regression = Ensemble anhand der Messdaten trainiert und analysiert werden. Weiters ist hier auch das Prognosemodell Reif enthalten, dass auf umfassenden Feldmessungen mit einem eigens entwickelten Sensor in Kombination mit TAWES-Wetterstationen basiert.

Unter dem Reiter Streumodelle finden sich vor allem die physikalischen Modelle wie Gefrierkurven, Gefrier- und Schmelzmodelle, Einflüsse Verkehr/Wind, Räumleistung, sowie Straßenzustand und Entwicklung der Griffigkeit nach Art/Menge des Niederschlags. Weiters finden sich hier die Kostenmodelle für Taumittel und Sole, Personal und Streufahrzeug sowie die Einstellungen und Randbedingungen für die Modellierung der Streustrategien. Aufgrund der Vielzahl an Parametern ist zudem eine automatische Dokumentation von Änderungen implementiert. Der Reiter Straßenzustand erlaubt den Zugriff auf die Verkehrsdaten und Zustandsdaten am gesamten Netz als wichtige Ausgangsbasis für die Berechnungen.

Mit dem Reiter Winterdienst kommt man zu der Berechnung der Streustrategien, die sowohl automatisiert, als auch manuell ohne/mit Berücksichtigung vorhergehender Einsätze je SWA, Route und ABM erfolgen kann. Die Berechnung erfolgt immer stündlich für die nächsten +12h auf Basis der Wetterprognose, was eine laufende Anpassung und Optimierung der Einsatzstrategien erlaubt. Zur Berücksichtigung der Abweichungen insbesondere der Niederschlagsprognosen und IST - Niederschläge besteht zudem die Möglichkeit einer forensichen Berechnung der Streustrategien auf Basis der IST - Messwerte statt der Prognosen. Das ist vor allem für die Validierung der Berechnungen durch Griffigkeitsmessungen sowie die Untersuchung von Unfallereignissen von wesentlicher Bedeutung, da sowohl Abweichungen von Prognosen und Ereignissen, als auch von Streuempfehlungen und IST-Streuung vorkommen.

Der letzte Reiter Benchmarks umfasst die standardisierte Analyse der Prognosemodelle, der Wetterereignisse, der Straßenzustände und des Winterdienstes. Die Analyse der Prognosemodelle umfasst eine statistische Auswertung der Prognosequalität und der Abweichungen. Die Auswertung der Wetterereignisse basiert auf einem Entscheidungsbaum zur Klassifizierung der Wetterereignisse (Schnee, gefrierende Nässe, Reif, Regen, Trocken) nach Tagen und Stunden. Mit dieser Funktionalität lassen sich definierte Zeitperioden oder Wintersaisonen analysieren und Wetterprofile für Regionen und Autobahnmeistereien erstellen. Mit der Funktion Straßenzustand kann die Entwicklung des Straßenzustandes ohne und mit Streueinsätzen (IST/SOLL) bzw. der erzielte Sicherheitsgewinn ausgewertet werden. Die Auswertung des Winterdienstes erlaubt schließlich die Analyse der Einsätze nach Wetterereignissen, der Kosten und Wirkung der gewählten Strategien und damit einen Vergleich von Aufwand und erzielten Ergebnissen für jeden Straßenwetterabschnitt (SWA), Streuroute und Autobahnmeisterei (ABM).

Generierung von Streustrategien:

Ausgehend von der Zielsetzung eines möglichst sicheren Straßenzustandes sind alle möglichen (Einsatz-)Strategien im Lösungsraum zu identifizieren und die sich ergebenden Kosten und Wirkungen zu berechnen. Im Streumodell Winterdienst erfolgt die Generierung von Streustrategien für einzelne Wetterereignisse basierend auf der Kombination von Umlaufzeit (kleiner 3h), Streumengen (0 - 40 g/m2), und Soleanteil (FS0 = trocken bis FS100 = Sole) für den Prognosezeitraum von +12h. Aufgrund der Kombinatorik steigt die Anzahl der möglichen Strategien rasch exponentiell mit einer größeren Anzahl möglicher Streumengen und Soleanteile sowie insbesondere kürzere Umlaufzeiten als 3h. Abbildung 2 zeigt die Berechnung der möglichen Kombinationen der Einsätze nach Art (Menge/Sole), Anzahl und Abfolge.


Abbildung 2: Kombination Einsätze nach Art (Menge/Sole) und Abfolge im Streumodell

Abbildung 3 zeigt die Berechnung der möglichen Anfangszeitpunkte und Abfolgen bzw. das Timing aufeinander folgender Einsätze mit der zeitlichen Auflösung von 1h (diskret) im Streumodell. Je nach Art, Anzahl und Umlaufzeit ergibt sich daraus die Anzahl der insgesamt möglichen Strategien sowie eine Rechenzeit. Da die Strategien im Streumodell Winterdienst stündlich neu am gesamten Netz der ASFINAG für alle 248 SWA und 136 Streurouten zu berechnen sind, ist eine Rechenzeit von mehr als 15-20 Minuten ungünstig. Deshalb ist durch Vergleichsrechnungen eine vernünftige Begrenzung der möglichen Strategien erforderlich, ohne dadurch günstige bis optimale Lösungen auszuschließen.


Abbildung 3: Timing und zeitliche Auflösung der Einsätze im Prognosehorizont (+12h) im Streumodell

Die Ergebnisse dieser Vergleichsrechnungen mit einem vergleichsweise leistungsfähigen Rechner für unterschiedliche Anzahl, Art und Umlaufzeiten sind in Abbildung 4 dargestellt. Ist z.B. eine Umlaufzeit von 3h gemäß RVS 12.04.12 einzuhalten und sind max. 2 Streuungen mit FS30 oder FS50 zu 10 g/m2 oder 20 g/m2 zulässig (z.B. Reif), so ergeben sich 769 mögliche Strategien. Wird dagegen die Umlaufzeit auf 2h verkürzt, mit bis zu 6 Streuungen in 12h und typischen Soleanteilen (FS0, FS30, FS50, FS70, FS100) und Streumengen (5,10,15, 20 g/m2), so ergeben sich über 500 Mio. Strategien. Unabhängig von einer möglichen Optimierung der Algorithmen wurde daher versucht die Anzahl der möglichen auf die praktisch relevanten Strategien zu beschränken (max. 30-50k Strategien, Rechenzeit < 2-3s).


Abbildung 4: Anzahl Strategien und Rechenzeit nach Anzahl Streuungen, Art und Umlaufzeit im Prognosehorizont

Optimierung Streustrategien:

„Im Gegensatz zur Reihung erfordert die Optimierung eine Maximierung bzw. Minimierung einer Zielfunktion f(xi) unter den gegebenen Randbedingungen. Für den Winterdienst der ASFINAG wurde die Verbesserung der Straßengriffigkeit (Sicherheit) als Zielfunktion gewählt“


Kosten, Wirkung & Optimierungsfunktionen:

Die Kosten jeder Streustrategien setzten sich aus den Kosten für Salz und Sole, den Fahrzeugkosten (variabel/fix) und den Personalkosten (variabel/fix) zusammen. Die Wirkung wird über die Verbesserung der Griffigkeit (Reibungswiderstand) ohne bzw. mit Streustrategie berechnet, wobei generell eine Griffigkeit > 0,4 aus Gründen der Fahrsicherheit unbedenklich ist, sofern die zulässige Geschwindigkeit eingehalten wird. Auf dieser Basis sind nun unterschiedliche Optimierungsziele - mit unterschiedlichen optimalen Strategien formulierbar:

  • #1 Minimierung der Kosten mit Randbedingung µ ≥ 0,4 (gewählt)

  • #2 Maximierung des niedrigsten Griffigkeitswertes µmin

  • #3 Minimierung gewichtete Zeit mit Griffigkeitsreduktion µgew

  • #4 Maximierung des mittleren Griffigkeitswertes ص

  • #5 Maximierung des Nutzen/Kosten Verhältnisses


Optimierung bei Reifglätte:

Die Kondensation von Wasserdampf zu Eis auf Oberflächen mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt wird Reif genannt. Reifereignisse sind üblicherweise bei Plusgraden tagsüber mit Abkühlung unter den Gefrierpunkt in der Nach zu erwarten. Der Beginn der Reifereignisse ist meist zwischen 22:00 Uhr - 01:00 Uhr mit kontinuierlicher Zunahme der Eismenge und Erreichung eines Maximums zwischen 50 - 150 g/m2 Eis zwischen 07:00 Uhr bis 09:00 Uhr früh. Die Ursache für die Glättebildung bei im Vergleich zu Schneefällen geringen Eismengen liegt darin, dass sich das Eis auf den exponierten Stellen am Straßenbelag bildet, wo sonst die Reifen Halt finden. Die geringe Eismenge hat jedoch den Vorteil, dass bereits geringe Mengen Salz zum richtigen Zeitpunkt für die Vermeidung von Glätte ausreichen. Die Voraussetzung für die Ermittlung der optimalen Strategie sind daher möglichst präzise Prognosen von Luft- und Fahrbahntemperatur, relativer Luftfeuchte und Reifereignissen.

Die Strategieoptimierung für Reifereignisse ist für ein großes Reifereignis in Abbildung 5 beispielhaft dargestellt. Bei durchgängig hoher relativer Luftfeuchte sinkt die Temperatur ab ca. 21 Uhr unter den Gefrierpunkt und es bildet sich sukzessive Reif, wodurch die Griffigkeit abnimmt und es zu Glätte ab etwa 2-3 Uhr früh kommt, die ohne eine Streuung bis etwa 10-11:00 Uhr andauert. Bei kleinen und mittleren Reifereignissen ist dagegen mit erkennbarer Glätte zwischen 3-5 Uhr früh vor allem an exponierten Stellen (z.B. Brücken) zu rechnen. Was sind nun die wesentlichsten Erkenntnisse aus praktischen Beobachtungen und Simulationsrechnungen:

  • Eine zu frühe Streuung vor 19-20 Uhr ist wenig wirksam, da ein Großteil des Salzes durch Verkehr und Wind vor dem Ereignis verloren geht

  • Eine präventive Streuung (ca. 10-15g FS50 oder FS70) zwischen 22-23 Uhr reicht meist für kleine und mittlere Ereignisse (70-80% der Fälle) vollkommen aus

  • Bei großen Ereignissen (>130 g/m2) wie hier dargestellt bleibt der Eingriffszeitpunkt derselbe, die Streumenge ist aber etwas zu erhöhen

  • Gibt es keine präzisen Prognosen, ist die beste Strategie eine präventive Streuung (ca. 10g FS50 oder FS70) gegen 22-23 Uhr und eine 2. Streuung um 3-4 Uhr früh bei Bedarf

  • Wird das Ereignis verpasst, es kommt eine Glättemeldung gegen 4:00 Uhr mit Streuung um 5:00 Uhr, so wird es selbst mit 20 g/m2 ca. 1h dauern, bis keine Glätte mehr besteht


Abbildung 5: Optimierung der Streueinsätze für ein großes Reifereignis mit Sicherheitsgewinn

Optimierung bei Schneefallereignissen:

In der Analyse von Schneefallereignissen kommt es ganz wesentlich auf die Kombination von Schneefallmenge, Ereignissdauer und Temperatur (LT, FBT) an. Bei kleinen und mittleren Schneefallereignissen mit 1-3 cm im Streuumlauf und Temperaturen um den Gefrierpunkt ist es möglich, die Straßen fast durchgängig schnee- und eisfrei zu halten (Abbildung 6). Sinken die Temperaturen dagegen auf unter -2°C oder steigt die Schneefallmenge, reicht die Tauwirkung von Salz nicht mehr aus. Zudem ist zu beachten, dass es während dem Ereignis auch nach dem Streufahrzeug schneit, wodurch die Straße wieder "zu geht". Bei stark befahrenen Straßen tritt dieser Effekt langsamer ein, da der Verkehr durch seine Abwärme die Temperatur um 1-1,5°C erhöhen kann, ein Teil des Schnees auf die Dächer fällt und die Tauwirkung etwas beschleunigt wird. Eine Verkürzung der Räum- und Streuumläufe erlaubt es, einen Teil dieser Ereignisse zu beherrschen, kann aber nicht in allen Fällen Glätte verhindern, da das Salz Zeit für den Tauvorgang benötigt und das Restsalz im nächsten Umlauf mit dem Neuschnee weitgehend weggeräumt wird. Was sind nun die wichtigsten Erkenntnisse aus praktischen Beobachtungen und Simulationen für Schneefalleignisse: 

  • Eine zu frühe Streuung ist wenig wirksam, wichtig ist jedoch eine erste präventive Streuung möglichst knapp vor Ereignisbeginn (Vermeidung Glätte, Zeitgewinn)

  • Eine präventive Streuung vor allem bei trockener Fahrbahn erfordert immer einen erhöhten Soleanteil (FS50 oder FS70) zur Minimierung der Salzverluste

  • Bei kleinen und mittleren Ereignissen und Temperaturen um den Gefrierpunkt kann die Straße bei entsprechend engen Umlaufzeiten meist schnee- und eisfrei gehalten werden

  • Bei größeren Ereignissen oder tieferen Temperaturen ist das in der Regel nicht möglich, ein exzessives Streuen während dem Ereignis ist teuer und bringt wenig

  • Wesentlich bei großen Ereignissen sind kurze Umlaufzeiten, um die Befahrbarkeit sicherzustellen und Streuung von ca. 10 g/m2 FS30 bzw. FS50 (Bildung Trennfilm)

  • Während dem Ereignis lässt sich dadurch zwar nicht verhindern, dass die Straße wieder "zu geht", aber das Räumbild wird dadurch wesentlich besser

  • Am Ende des Schneefallereignis kann dann der verbleibende Restschnee durch entsprechende Räumung und Streuung entfernt werden


Abbildung 6: Optimierung der Streueinsätze für ein mittleres Schneefallereignis mit Sicherheitsgewinn

User-Plattform Wetter 2.0:

„Die Plattform Wetter 2.0 fasst alle für den Winterdienst der ASFINAG relevanten Informationen wie Wetterprognosen, Sensordaten, Webcams, aktuelle Einsätze und Empfehlungen des Streumodells in einem webbasierten Portal für das Einsatzpersonal übersichtlich zusammen“


Software - Architektur Streumodell und User-Plattform Wetter 2.0:

Generell stehen Netzbetreiber wie die ASFINAG vor der Herausforderung entweder auf Lösungen einzelner Anbieter zu setzen oder eigene Lösungen zu entwickeln. Lösungen "out of the box" sind teils für häufig vorkommende Aufgaben verfügbar und bieten oft eine gute Basisfunktionalität. Sobald die Aufgaben komplexer werden, spezifische Anforderungen bestehen oder noch keine systematischen Lösungen vorhanden sind, müssen vorhandene Lösungen angepasst oder neue Lösungen entwickelt werden. Dasselbe gilt, wenn die Datensicherheit und Verfügbarkeit an Bedeutung zunimmt und mit bestehenden Lösungen nicht sichergestellt werden kann. Aufgrund solcher Überlegungen, der optimalen Nutzung bestehender Daten und Anwendungen hat sich die ASFINAG entschlossen gemeinsam mit TIETO und Hoffmann Consult eine eigene Lösung für den Winterdienst aufzubauen. In dem System Wetter 2.0 als Frontend für die Nutzer werden die Daten aus eigenen Systemen, die Wetterprognosen eines Dienstleisters (UBIMET/ZAMG) und Analysen von Dritten eingespeist. Neben einem einheitlichen Erscheinungsbild auch bei Wechsel von Dienstleistern liegt der Vorteil vor allem in der Datensicherheit sowie der Möglichkeit der laufenden Anpassung und Weiterentwicklung.


Das von Hoffmann - Consult für die ASFINAG entwickelte Softwaretool ist ein Beispiel für Analysen von Dritten, die in Wetter 2.0 mit Fokus auf die Endnutzer dargestellt werden. Das Streumodell Winterdienst ist im Softwaretool modular aufgebaut, wodurch die einzelnen Modelle und Parameter jederzeit validiert, angepasst oder erweitert werden können. Das Softwaretool selbst läuft als Service im Hintergrund auf den Servern der ASFINAG, bezieht seine Daten aus unterschiedlichen Datenbanken über definierte Schnittstellen und liefert die Analysen, Prognosen und Streuempfehlungen direkt in Wetter 2.0 für das Einsatzpersonal. Das bietet den Vorteil eines reibungslosen unabhängigen Betriebes der Systeme. In Wetter 2.0 als Frontend werden aus dem Streumodell nur die für die Einsatzplanung notwendigen Informationen wie Prognosen (Luft- und Fahrbahntemperatur, Luftfeuchtigkeit, Reif) mit Wetterwarnungen und Streuempfehlungen für Fahrer und Autobahnmeister für die nächsten +12h dargestellt. Je nach gewünschter Information können in Wetter 2.0 die Niederschlagsprognosen, Sensormesswerte, Kamerabilder oder laufende Einsatzfahrten ein- oder ausgeblendet werden (Abbildung 7). Tatsächlich bietet das Streumodell noch eine Vielzahl zusätzlicher Möglichkeiten für die systematische Analyse und Verbesserung, die an anderer Stelle behandelt werden.


Abbildung 7: User-Interface Wetter 2.0 mit Wetterprognose, Webcams, Sensordaten und Streuempfehlungen

Für eine detailliertere Darstellung der Wetterentwicklung in Wetter 2.0 können Meteogramme der einzelnen Straßenwetterabschnitte (SWA) mit Prognosen für +30h, +72h oder +10 Tage ausgewählt werden (Abbildung 8). Neben den üblichen meteorologischen Parametern enthalten die Meteogramme auch Wetter- und Glättewarnungen, wobei die langfristigen Prognosen für die Vorbereitung und Anpassung der Dienstpläne, die kurzfristigen Prognosen für die Bereitschaft und der NowCast der nächsten +12h die Basis für die Einsätze sind. Diese Vorgehensweise hat sich insofern bewährt, als damit sowohl den Unsicherheiten in der Prognose weiter in der Zukunft liegender Ereignisse, als auch den unmittelbaren Anforderungen optimal Rechnung getragen werden kann. Weiters gibt es eine umfassende Archivsuche, um vergangene Ereignisse und Einsätze möglichst umfassend nachvollziehen zu können.


Abbildung 8: User-Interface Wetter 2.0 mit Meteogramm und Ereigniswarnung im Straßenwetterabschnitt

Ein weiteres wesentliches Merkmal des User-Interface Wetter 2.0 ist die für das Einsatzpersonal optimierte Ansicht für Mobiltelefone. In Abbildung 9 sind einige Screenshots ausgewählter Ereignisse mit Übersichtskarte (Niederschlag), Kurzübersicht und Streuempfehlung einer ABM, der Zugriff auf Webcams (Straßenzustand) und Die Daten eines Sensorstandortes (GMA) dargestellt. Im Volleinsatz, bei Wetteränderungen oder unterwegs ist der niederschwellige Zugang über Smartphones zu aktuellen Informationen des Winterdienstes wesentlich für das Einsatzpersonal um rasch reagieren zu können. Zudem ermöglicht der mobile Zugang auch eine komfortable Steuerung und Lagebesprechung sowie Abstimmung mit dem Einsatzpersonal unabhängig davon, ob sie in der Meisterei, im Einsatz oder im Bereitschaftsdienst daheim sind.


Abbildung 9: Mobile-Interface Wetter 2.0 mit Übersicht, Streuempfehlung, Webcams und Sensormessdaten

Zusammenfassung und Ausblick:

Die Winterdienstforschung in Österreich hat sich seit 2009 schrittweise ausgehend von der systematischen Untersuchung von Anforderungen und Beobachtungen aus der Praxis entwickelt. Das Streumodell Winterdienst wurde in mehreren Forschungsprojekten mit ASFINAG, Ländern, BMK, TU Wien und Hoffmann Consult unter Leitung von Doz. Hoffmann entwickelt. Das darauf basierende Softwaretool von Hoffmann Consult für die ASFINAG umfasst alle relevanten Aspekte von den Sensordaten über die Straßenzustandsprognose bis zur Einsatzanalyse. Es erlaubt die Optimierung der Streustrategien für die Wetterereignisse Schnee, Reif, gefrierende Nässe mit ihrer Wirkung auf den Straßenzustand und jeweiligen Kosten. Die für den Winterdienst der ASFINAG relevanten Informationen wie Wetterprognosen, Sensordaten, Webcams, aktuelle Einsätze und Empfehlungen werden im webbasierten Portal Wetter 2.0 übersichtlich für das Einsatzpersonal zusammengefasst.

Aufgrund der Komplexität der Einflussfaktoren können Modelle generell die Wirklichkeit meist nur unvollständig abbilden. Sind die Aussagen der Modelle aber hinreichend nahe an der Wirklichkeit, sind Vergleiche von Aussagen, Prognosen und Strategien sowie eine Validierung von Verbesserungen möglich. Das entwickelte Softwaretool zum Streumodell Winterdienst ist seiner Art und Funktionalität weltweit einzigartig. Dennoch bestehen Unschärfen in einer Reihe von Bereichen und es wurden Vereinfachungen in den Modellen zugunsten einer durchgängigen Funktionalität vorgenommen. Für die künftige Entwicklung sind daher bestehende Lücken zu schließen, die Modelle zu verbessern und das Softwaretool im Wechselspiel aus praktischer Erfahrung und laufender Verbesserung noch weiter zu optimieren.

In der Umsetzung der Streuempfehlungen in die Winterdienstpraxis wird die letzte Entscheidung in absehbarer Zeit dennoch bei einem geschulten und motivierten Einsatzpersonal liegen. Mit der Unterstützung durch moderne Instrumente wie das Softwaretool Streumodell Winterdienst und Wetter 2.0 soll das in Zukunft noch besser gelingen. Ein möglichst guter Straßenzustand bei winterlichen Verhältnissen durch einen modernen Winterdienst ist eine wichtige Voraussetzung für eine hohe Verkehrssicherheit. Insgesamt wird eine Verringerung des Unfallrisikos und eine hohe Verkehrssicherheit aber nur bei Mitwirkung möglichst vieler Verkehrsteilnehmer und eine an die Verhältnisse angepasste Fahrweise erreichbar sein. Dies vor allem deshalb, da für Unfälle in dem weit überwiegenden Anteil der Fälle in erster Linie das Fahrverhalten und nicht der Fahrbahnzustand maßgebend sind.


Danksagung:

Unser besonderer Dank gilt der ASFINAG Service GmbH mit den GF Dr. Tamara Christ und Heimo Meier-Farkas, dem Projektleiter DI. Georg Steyrer, Herrn DI. Szilard Polyanyi, Frau DI. Alice Mahr-Saverschel, Herrn DI. Heimo Berghold sowie den vielen Mitarbeitern der Autobahnmeistereien und der Projektpartner für Ihre Hinweise, Rückmeldungen sowie Unterstützung bei Messungen und Anwendung bzw. Überprüfung der entwickelten Lösungen. Weiters gilt unser Dank allen Mitgliedern des Winterdienstausschusses unter Leitung von Herrn Di. Dr. Peter Nutz für ihre Unterstützung und Förderung. Ein besonderer Dank gilt weiters unserem Team DI. Dr. Valentin Donev (seit 06/2023 ASFINAG), Alexander Haberl und Doz. DI. Dr. Markus Hoffmann, deren Einsatz diese Entwicklungen und deren Umsetzung erst möglich gemacht haben.


Literaturverzeichnis:

HOFFMANN, M. & NUTZ, P. & BLAB, R. (2011); Forschungsbericht Optimierung der Feuchtsalzstreuung; Forschungsbericht für Ämter der Landesregierungen, ASFINAG, BMVIT; 2011; 213 S.

HOFFMANN, M. & NUTZ, P. & BLAB, R. (2012); Dynamic modeling of winter maintenance strategies and their impact on skid resistance; Vortrag: TRA2012 - Transport Research Arena 2012, Athen; 23.04.2012 - 26.04.2012; Procedia - Social and Behavioral Sciences / Elsevier, Volume 48 (2012), ISSN: 1877-0428; S. 682 – 691; DOI: 10.1016/j.sbspro.2012.06.1046

HOFFMANN, M. & NUTZ, P. & BLAB, R. (2014); Holistic winter maintenance model; XIVth International Winter Road Congress; Andorra la Vella, 4-7 February 2014; PIARC; Beitrag & Vortrag; ISBN 978-99920-0-773-0 Tagungsband

HOFFMANN, M. & DONEV, V. & KANN, A. & HADZIMUSTAFIC, J. & MAIER-FARKAS, H. & STEYRER, G. & BERGHOLD, H. (2016); WINTERFIT II – Echtzeit - Prognosemodellen für den Winterdienst für Fahrbahntemperatur- & Reifentwicklung mit Potenzialanalyse und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für den optimierten Winterdienst; Forschungsbericht für die ASFINAG; Wien; 187 Seiten

HOFFMANN, M. & DONEV, V. & MAIER-FARKAS, H. & STEYRER, G. & BERGHOLD, H. & KANN, A. & HADZIMUSTAFIC, J. (2018); Implementing a dynamic winter maintenance management with real-time measurements and high-resolution weather nowcasts; Peer reviewed paper XVth PIARC International Winter Road Congress, Danzig; 14 S

HOFFMANN, M. & DONEV, V. (2022); Hoarfrost in Winter Maintenance – Measurement, Prediction & Control; eingeladener Fachvortrag International Winter Maintenance Talks 12th – 13th of October; Tulln, Austria

HOFFMANN, M. & DONEV, V. & HABERL, A. (2023); ASFINAG Griffigkeitsvalidierung, Forschungsbericht 104 Seiten, unveröffentlicht

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